Samstag, 10. Juni 2017

Sierra Nevada: Mt. Whitney- Independence TM 788/9.6.17

Die ersten Tage in der Sierra
Die Landschaft beginnt sich ab Kennedy Meadows langsam zu verändern. Das Grün sticht ins Auge und Wasser ist in Hülle und Fülle vorhanden. Endlich in der als nicht begehbar angekündigten Sierra! Es wirkt alles halb so wild, sogar Empfang hatte es an zwei Stellen.  Auf einem Baumstamm sitzend habe ich das erste Mal mit der Schweiz, bzw. mit Lisa und Milo telefoniert. Vor lauter Aufregung habe ich keinen Satz fertig gesprochen. Das war ein Bild: es sind in dieser Zeit bestimmt 10 Leute an mir vorbei gewandert. Kaum sahen sie mich am Telefon, haben sie sich zu mir auf die “Telefonlounge“ gesetzt.

Es waren milde erste Tage in der Sierra. Die ersten Schneefelder begeisterten uns, endlich im Schnee. Es sollte anspruchsvoller und wir demütiger werden. In der hohen Sierra überwiegt der Schnee die trockenen Weggeschnitte. Das erschwert die Orientierung erheblich. Nachdem ich ein paar Mal vertrauenselig ein paar Spuren gefolgt bin, die ins Nirgendwo führten, wird jetzt fleissig navigiert. Der vermeintliche Unfall, den ich letztes Mal erwähnt hatte, war keiner. Der hatte sich verlaufen und wie am Spiess geschrien, damit man auf ihn aufmerksam wurde. Was ihm gelungen ist.

Neu im Wanderprogramm sind die Bachüberquerungen. Auch da hat es netterweise spielerisch angefangen. Jeder noch so wild schäumende Bergbach hatte ein paar umgefallene Bäume als Brücke parat. Das ist vorbei, jetzt wird gefurtet. “ It s a hard travelling“

Verändert hat sich auch die Anzahl Hiker, wir sind weniger geworden. Beim Anblick des ersten Schnees, von dem die vorangegangenen 1000 Kilometer immer wieder die Rede gewesen war, drehten nicht wenige um und gaben Forfait. Es ist schwer zu belegen, weil es keine offiziellen Zahlen gibt, aber der Eindruck verdichtet sich, dass dieses Jahr deutlich weniger losgezogen sind (4000 Permits wurden vergeben) und deutlich mehr abgebrochen haben wegen der besonderen Schneelage in den Bergen.

Der Begeisterung über mein zweites Wandergschpännli ist Ernüchterung gewichen. Nachdem sich ihr Handy nachts entladen hatte, startete Madame letzthin fuchsteufelswild in den Tag. Meine Lösungsansätze waren auch nicht eben hilfreich, frei nach dem Motto: das Gegenteil von gutes Tun ist, es gut meinen. Auf jeden Fall habe ich meinen Teil abgekriegt. Ich bin dann mal losgezogen, um abzukühlen und habe beschlossen, sie darauf anzusprechen. In den zwei Stunden, die ich auf sie wartete, habe ich so ziemlich alles geputzt und gewaschen, was mir in die Hände fiel. Sogar ein Vollbad im Bergbach genommen. Mit einem wachsamen Auge auf herannahende Hiker. Vergeblich, ein Ami tauchte unversehens auf, verfiel in einen Schreikrampf, der von einem Fluchtteflex abgelöst wurde.

Madame geht langsam, sehr langsam. Beeindruckend, wie sie im Schneckentempo unbeeirrt vor sich hin geht. Das war für die ersten Tage Akklimatisation nicht weiter tragisch, aber danach wurde es für mich zur Geduldsprobe, ich warte ungern, habe mich notgedrungen fleissig darin geübt.
Wir vermochten unsere Differenzen nicht zu klären. Ich teilte ihr schließlich mit, dass die Vertrauensbasis für das gemeinsame Vorhaben nicht gegeben ist (was sie genau so sieht) und ich deshalb die Zweckgemeinschaft so bald wie möglich beenden möchte. Konkret heisst das, sobald sie jemand anders gefunden hat, um die als schwierig bekannten Stellen zu begehen.

8.6.17
Am 2:00 morgens sind wir zu Dritt los Richtung Mt. Whitney. Es war eine helle Mondnacht und faszinierend, in dieser Stimmung zu wandern. Madame hatte von Beginn weg Mühe mit der Höhe und rang darum, abzubrechen. Ein steiles Schneefeld brachte schliesslich die Entscheidung, sie kehrte um. Vielleicht steht mir ein ähnlicher Prozess weiter nördlich bevor. Es ist schwierig, umzukehren. Roland und ich schafften es bis nach oben. Ein Panorama auf die Sierra tat sich auf und im Westen der Wüstenboden mit Lone Pine.

Am späteren Nachmittag wollte ich noch los, näher an den höchsten Pass heran, den Forester. Madame, von der ich eigentlich annehmen würde, dass sie mich zum Teufel wünscht, kam mit. Es wurde ein langsames Vorwärtskommen. Es war enorm schwierig, den Weg zu finden. Die Schneeoberfläche ist unregelmässig und erschwert damit das Gehen und die Spurensuche. Schliesslich landeten wir nach wenigen Meilen erschöpft an einem wildgewordenen Bergbach. Wir übernachteten an dessen Ufer, hofften auf den Rückgang des Wassers, um den Bach am morgen zu durchqueren.

9.6.17
Zwei Paare hatten diesselbe Idee und übernachteten ebenfalls am Ufer. Der Plan ging auf. Die nächsten Meilen hatten wir weitere Bäche zu queren. Die Situation wechselt schnell. Bei dem einen Bach wussten wir, dass eine Schneebrücke vorhanden sein soll. Die haben wir gefunden, nur war ein Stück weggeschmolzen. Man muss sich Zeit nehmen, eine geeignete Stelle zu suchen und es war gut, dass wir zu sechst waren.

Das Laufen auf dem Schnee verlangsamt enorm. Die Sierra ist dafür bekannt, dass die Schneeoberfläche zu “suncups“ schmilzt. Das sind rundliche Schmelzlöcher, die 20-30 cm tief sind. Das ist der Grund, weshalb Schneeschuhe als wenig wirksam betrachtet werden. Ich habe Mikrospikes dabei, die haben 12 dreieckige, 1 cm lange Zacken und haben sich bewährt. Im aufgeweichten Schnee sind sie allerdings nutzlos, da hilft nur eiserner Wille.
Wir gelangtenn erst um Mittag an den Fuss des Foresters, den man frühmorgens überqueren sollte. Es war so unwirtlich, windig und kalt, dass wir uns alle einig waren, einen Versuch zu wagen und notfalls abzubrechen. Hipbelt führte uns souverän über den Pass, der anstrengend und bei dieser kompakten Schneemasse sicher zu begehen war.

Ich habe die letzten Tage einiges über die Handhabung des Eispickels gelernt. Der kommt auch beim sogenannten “glissading“ zum Einsatz. Man zieht die Regentrainerhose über, setzt sich auf den Hintern und saust zu Tale. Mit Eispickel steuert oder bremst man. Ich war erst etwas ängstlich, dann habe ich es doch gewagt. Eine äusserst vergnügliche Angelegenheit. Ich werde noch zur Wintersportlerin.

10.6.17
Was waren wir alle froh, den Forester mit seinem “gförchigen“ Ruf hinter uns zu haben. Madame, das muss man ihr lassen, hat alles mitgemacht, furchtlos durch Bäche gewatet, über Schneefelder gelaufen und. Schneehänge hinunter gesaust. Wir haben das gemeinsame Vorhaben schliesslich doch durchgezogen, trotzdem unser Verhältnis sich zum höflich- distanzierten entwickelt hatte. Es hat geholfen, dass wir  nicht alleine unterwegs gewesen sind. Das gab uns beiden genügend Sicherheit, um weiter zu gehen. Sonst hätten wir vielleicht aus Vernunftgründen am Fusse des Foresters eine kalte, windumtoste Nacht verbracht, das hätte unserem fragilen Gleichgewicht wohl den Rest gegeben.
Heute sind wir Richtung Kearsage Pass gestartet, um in die Zivilisation zu gelangen. Ich wartete auf meine Wanderkollegin, um ihr die Stelle zum queren eines Baches zu zeigen. Ich teilte ihr mit, dass ich vorgehen und nur bei Notwendigkeit (gefährliche Stellen) auf sie warten werde und verabschiedete mich. Nach ein paar Höhenmetern tönte es von unten: “ Du brauchst nicht zu warten“.
Ich war wieder Solo Hikerin.

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