Donnerstag, 27. Juli 2017
Samstag, 22. Juli 2017
Mount Shasta, 27.7.17/TM 1498
1325 m nach Mexiko. Midpoint.
1325 m nach Kanada.
Die Angaben stehen auf einem unscheinbaren, schlichten Betonpfeiler am Wegrand. Die Hälfte also.
Mit jedem Schritt wird der Weg nach Kanada kürzer, der Weg nach Mexiko weiter. Logisch und unbegreiflich zugleich.
Kanada 1152 m Mexiko 1498 m.
Die Botschaft wird deutlicher. Ich habe zeitlich und streckenmäßig mehr als die Hälfte hinter mir. Dieser zurückliegende Meilenstein irritiert mich. Ist es "schon" oder ist es "erst" die Hälfte? Ich bin mir nicht schlüssig.
Die trockenen Wege Nordkaliforniens sind landschaftlich abwechslungsreich und anspruchslos zu gehen. Gleichwohl empfinde ich zuweilen einen gewissen Überdruss. Die Meilen ziehen sich hin, freudlos gehe ich meinen Weg. Die Strecke bis Seiad Valley und Oregon sind jene Abschnitte, wo man grosse Tagesstrecken zurücklegt; 30 und mehr Meilen. Das tue ich nicht, ich laufe 20- 25 Meilen täglich, ohne feste Planung. Gleichwohl ist die tägliche Strecke in den Mittelpunkt gerückt, hat anderes verdrängt. Da hat sich etwas schleichend verschoben. Ich habe mich heute mit Chasing Freedom und Hipbelt darüber unterhalten*. Denen geht es ähnlich, es komme ihnen so vor, als ob sie morgens einstempeln und dann ihre Meilen abspulen würden. Ein Meilenstein- und das ist der "midpoint"- fordert einen zur Zwischenbilanz auf.
Ich bin in Mount Shasta, welches seinem Ruf als Hippieort vollauf gerecht wird. Ich werde über die Bücher gehen, wie ich die kommenden zwei Monate gestalten werde. Klar, die Strecke ist lang und will gelaufen sein. Gleichzeitig gilt es sorgsam ein Auge auf das fragile Gleichgewicht zwischen Freude am Laufen und Leben draussen und den mühsameren Aspekten des Traillebens zu halten. Ich habe das dringende Bedürfnis mehr Zeit für anderes zu haben, zum lesen, mich informieren über die Gegend, die ich durchlaufe oder mehr Zeit an idyllischen Orten verbringen. Sonst geht es mir eines Tages wie Forrest Gump; auf einmal bleibe ich stehen. Die Freude ist mir abhanden gekommen und ich gehe nach Hause.
Es hat genügend Gründe gegeben, weiterzugehen: die Höhenwanderung nach Old Station über dem Hat Creek Valley. Der Blick auf den Mount Shasta. Und gestern sind wir einer Bärenfamilie begegnet. Nonstop, eine 23 jährige Amerikanerin mit einem engen Zeitplan, hat sich die letzten Tage mir angeschlossen. Sie hat Angst vor allen möglichen Viechern und v.a. alleine zu campen. Ihren Namen habe sie erhalten, weil sie eine Plaudertante sei. Wir hatten' s gut miteinander, Nonstop ist unterhaltsam, herzlich und kommunikativ, weiss über alle Bescheid, weil sie mit allen redet. Das lässt sie ständig hinter ihren Zeitplan zurückfallen, was sie ihrem unpassenden Schuhwerk zuschreibt. Dieses wiederum führt dazu, dass sie sich mehrfach täglich ohne Ankündigung, dafür mit weitherum hörbarem Seufzer auf den Trail fallen lässt, um auszuruhen.
Ich ging voran. Als ein kleiner Bär über den Trail rannte, war ich alarmiert. Vor solchen Situationen wird gewarnt, das könnte gefährlich werden. Schliesslich entdeckten wir die Bärenmutter, sie jagte ihre beiden Jungen einen Baum hoch und wandte sich, mit dem Rücken zu uns, aber uns beobachtend, ab. Wir interpretierten dies als Erlaubnis, unseren Weg fortzusetzen. Wir taten dies, stets gut sicht- und hörbar für die Bärenmutter. Nonstop winkte den Knuddelbären, die erschreckt am Baum hingen, mit Jö- Rufen zu. Wir waren begeistert.
Zurück zum Midpoint. Ich hatte mir für alle Fälle illegaler**- und passenderweise einen Schluck " moonshine" Whiskey abfüllen lassen.
Ich stosse auf die Erlebnisse der ersten Hälfte an, auf die restliche Strecke und mit dem letzten Schluck verbinde ich ein Danke. Nonstop würde noch einen dramatischen Seufzer anfügen.
* Mit den beiden sind wir (+Madame) damals über den höchsten Pass, den Forester gelaufen.
** In Kalifornien ist es den Barkeepern verboten, Alkoholika über die Gasse zu verkaufen. "Moonshine" ist ein Whiskey, welcher in Aufmachung (Blechkanister) an die Zeit der Prohibition erinnert.
Donnerstag, 20. Juli 2017
Chester- Old Station 20.7.17/TM 1378
Ich könnte diesen Blog frei nach Christine Thürmer: Laufen. Essen. Schlafen. Begegnen. betiteln. Das Verkehrsaufkommen auf dem Trail hat zugenommen, ich begegne täglich etwa einem Dutzend Hiker, in Ortschaften sogar mehr. Und da man auf dem Trail eine feste Identität hat, gehört man automatisch dazu. Ich werde regelmäßig auch von Ausflüglern angesprochen. Die amerikanische Leichtigkeit, mit anderen in Kontakt zu treten, tun das ihre. Eine ganz andere Geschichte ist es, wenn man sich weit weg man vom Trail befindet; da sinkt das Ansehen rapide; Kleider, Rucksack und die Gesamterscheinung wollen nicht so recht in die Zivilisation passen.
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und ich bin bereits an acht in Schlafsäcken eingemummelten Hikern vorbeigewandert. Aus einem Schlafsack schaut überraschenderweise eine Katze und jemand sagt, ohne die Augen zu öffnen: "How do you do?" Bei den nächsten Beiden, die mitten im Weg liegen tönts:"You are off trail". Tatsächlich, der Weg führt durch den Bach gleich daneben.
Francoise kreuzt mich auf ihrem Weg nach Süden. Wir halten ein Kafichränzli mitten im Walde ab. Als nächstes kommt Patchwork, die Polin des Weges. Welch' Freude, sie wiederzusehen. Sie war mit einer Gruppe in der Sierra. Eine lebensgefährliche Situation (eine Frau wurde bei einer Gruppenüberquerung losgelassen und konnte durch andere aus der Strömung gerettet werden) hätte sie zum schweren Schritt bewogen, die Sierradurchquerung abzubrechen und nach Norden zu reisen. In Belden traf ich auf mittlerweilen bärtige Männer, denen ich in der Wüste letztmals begegnet bin. Es seien noch Viele von uns aus der Anfangszeit auf dem Trail, aber verteilt in alle Winde. Der Purist ist da. Er ging in der Anfangszeit mich jeweils an den Dorfeingang zurück, um keinen Trailmeter auszulassen. Er lacht herzlich darüber. Mit dem Englishman esse ich Fish & Chips. Er ist scheu, meidet Menschengruppen und hat einen trockenen Humor. Er erzählt von seinem der Sierra. Der Alleingang ist nicht spurlos an ihm vorbei gegangen. Er hätte sich völlig verausgabt, sei ständig unter Hochspannung gewesen. Er habe sich kaum Zeit zum essen und trinken genommen. Am meisten ärgert ihn, dass er am Sonora Pass, wo eigentlich alles vorbei hätte sein sollen, ein Schneefeld hinuntergestürzt und sich die Arme aufgerissen habe. Es sei abends um 18.00 zu müde gewesen, um das Schneefeld zu umklettern. Das Thema Sierra nimmt immer noch viel Raum ein. Auch beim Dampfplauderer, ein Ultraleichtgewichtswanderer, der uns zwischendurch alle stehen lässt. Er überfällt einen richtiggehend mit seinen Fragen, nervt und ist amüsant zugleich. Er will von allen wissen, ob sie die Sierra durchwandert und falls ja, ob auf der Originalroute. Mir erzählt er, dass es für ihn mit seiner Erfahrung ein Leichtes gewesen sei. Abends höre ich, wie er zwei Frauen höchst dramatisch von seiner Sierra Erfahrung erzählt. Auf dem Weg in die Stadt überholt er mich, kommentiert, dass ihm das Stadtfieber fremd sei, wo es doch hier draussen so schön sei. DP zweigt unmittelbar scharf rechts ab, setzt sich im Schneider Sitz in ein unscheinbares Stück Wald, um sich einem intensiven Naturerlebnis hinzugeben.
Eine Meile vom Highway 36 entfernt treffe ich auf Robert, 72. Er wolle wieder ein kurzes Stück PCT laufen, bis er alles zusammengestückelt hat. Der Anfang sei hart, was ihn sichtlich frustriert. Ein unbekannter Hiker hätte ihn hierher gefahren und habe den Auftrag, sein Auto in Old Station zu hinterlassen. Vielleicht hätte er sich doch den Namen und die Telefonnummer notieren sollen.
Der PCT ist wieder ein Schönerwettertrail. Sanft geht es auf und ab. Durch lichte Nadelwaldbestände, mit wüstenähnlichen , staubigen Unterbrüchen mit Blick in die Weite. Gestern ging s durch den Lassen NP, der ganz im Zeichen von vulkanischem Geschehen. Da blubbert heisser Schlamm, ein kleiner See enthält kochend heisses Schwefelwasser, ein Geysir dampft und kleine Rinnsale heissem Wassers sind anzutreffen.
Es ist erholsam und ich geniesse es sehr, dass das Leben auf dem Trail wieder aus mehr besteht als Laufen. Essen. Schlafen.
Samstag, 15. Juli 2017
Donnerpass- Belden 16.7./TM 1285
Der 12. Juli wurde schließlich ohne mein Zutun zum Tag des schneefreien Wanderns und die Füsse blieben den ganzen Tag trocken. Das erste Mal seit 3 Wochen. Was für ein Vergnügen; der Weg war sichtbar, sogar die PCT- Zeichen, welche wir in den Bergen vermisst hatten, tauchten wieder auf. Keine Wegsuche und kein ständiges GPS navigieren. Die Berge liegen hinter mir, der PCT bewegt sich zwischen 1500- 2300 Metern sanft auf und ab. Landschaftlich laufe ich durch Nadel- und Zedernwälder und wüstenähnlichen trockenen Abschnitten, wo es auch mal wieder klappert. Hinzu kommen die Schluchten mit vertrautem Mischwald und munteren Bächen. Die Badesaison hat nun auch für mich angefangen.
Alle Zeichen stehen auf Normalisierung.
Es gibt sie doch noch, die PCT Hiker; auf einmal trifft man wieder auf bekannte und unbekannte Leute. Es ist ein ziemliches Durcheinander: da ist die grosse Gruppe jener, die nach Ashland gereist sind und sich der Sierra Nevada von Norden nähern, da ist eine Gruppe, welche die Sierra vorerst mal ausgelassen und ab Donnerpass Richtung Kanada marschiert. Wir, die wir ohne Unterbruch durchgewandert sind, gehören- so wie es ausschaut- einer Minderheit an. Ich treffe täglich auf etwa ein Dutzend Wanderer in beiden Richtungen. Und folglich wird das Buschtelefon wieder aktiviert. Martin, mit dem ich von Kennedy Meadows losgewandert bin, hat den Trail abgebrochen und ist nach Hause geflogen ist. Ebenso eine der Australierinnen, Dropbear.
Zwei weitere Altbekannte haben mich mit Namen begrüsst, ich habe sie nicht wieder erkannt. Es seien nicht so viele Frauen in meinem Alter unterwegs, deshalb würden sie sich meiner erinnern. Die Beiden sind äusserst liebenswürdig und sympathisch, gehören aber bedauerlicherweise zur Fraktion der Wasserscheuen und erstarren vor Dreck. Was da wohl für Gedanken dahinter stehen? Je schmutziger, desto Abenteuer? Bei mir hinterlässt es jedenfalls einen ebenso nachhaltigen Eindruck wie mein Jahrgang bei ihnen.
Ich habe in Reno ein neues Handy gekauft, nachdem das Erste regelmässig meine Apps abgeschaltet und es über Wochen unbrauchbar gewesen war. Das Neue funktioniert und ich freue mich sehr darüber. Allerdings verhalte ich mich nach all' dem Pech irrational. Ich fasse das Teil nur mit Samthandschuhen an und morgens, vor dem Einschalten, wo das neue Alte mehrfach versagt hatte, bin ich meist noch etwas angespannt. Ich befreie mich sämtlicher negativer Gedanken und tätige erst dann hoffnungsfroh den Einschaltknopf. Es nützt, wie Ihr sieht. Auch das wird sich wieder normalisieren. Hoffentlich.
Seit dem Donnerpass laufe ich wieder alleine. Das ging nahtlos und fühlt sich gut und vertraut an. Es ist gut, wieder auf mich gestellt zu sein und meinem Rhythmus zu folgen.
Sorgen macht mir, dass der Blog unter soviel Normalität leiden könnte. Ich habe Gefallen daran gefunden, zu bloggen. Ich könnte mich um einen aufgeregteren Tonfall bemühen. "Nicht einfach", würde Tommii sagen. Neulich nachts beispielsweise, da wollte ein Reh hinter meine Vorräte. Ein Reh, kein Bär, den ich mit meinen neuen, spitzen Wanderstöcken in die Flucht hätte schlagen, um nachher detailreich davon erzählen zu können. Ein glubschäugiges Reh, das sich selber in die Flucht geschlagen hat, weil es an den Pfannendeckel geraten war. Einem Bären bin ich später, unterwegs, begegnet. Ich hätte ihn vielleicht sogar übersehen, hätte dieser blondierte Schwarzbär nicht wie wild die Flucht vor mir ergriffen. Ein prächtiges Bild, wie der Bär kraftvoll bergaufwärts stürmte.
Bin mittlerweilen in Belden auf 700m angelangt. Ein kleiner Ort mit einem Laden, einer Beiz und einem Fluss zum Baden. Ich liebe diese kleinen Orte, sie enthalten für mich gute, alte Wildweststimmung. Ich werde mir morgen Zeit lassen, schwimmen gehen und mich nachher dem amerikanischen Frühstück widmen, bevor ich auf der anderen Seite hochsteige, was ich heute abgestiegen bin. Ein ganz normaler Sonntag.
E scheene Sonntig
Montag, 10. Juli 2017
Echo Lake- Donner Pass, 9.7./ TM 1153
Wir hatten einiges zu erledigen: Bärenkanister zurückschicken, das Obligatorium ist vorbei. Ich brauchte neue Schuhe und Stöcke; beide sind sie gebrochen. Das Geflicke hielt bis zum zweitletzten Tag, generell hat die Ausrüstung arg gelitten.
Weiterhin kein Anzeichen meiner Wanderkollegen, die ich bei dieser Gelegenheit endlich kurz vorstellen möchte.
Technische, elektronische Probleme haben mich zu diesem Trio gebracht, technische, elektronische Probleme haben uns wiederum getrennt. Mein neues Handy hat die Angewohnheit, die Apps willkürlich auszuschalten. Ich bin in Reno, kurz vor dem 4. Gang zum Mobile Store. Ich werde mir ein neues Handy kaufen. Das ist der Grund, weshalb ich mit Antworten hinterher hinke. Ganz zu Schweigen davon, dass meine Karten und Bücher nicht verfügbar waren. Ich hoffe, die Stinklaune, die mir das verursacht, drückt nicht durch.
Gestern habe ich mich deshalb von Robert, Tommii und Ki auf dem Donnerpass vorerst verabschiedet. Wenn alles klappt, bin ich heute Nachmittag wieder auf dem Donnerpass# 40, als Solohikerin.
Sonntag, 9. Juli 2017
Donnerstag, 6. Juli 2017
Mittwoch, 5. Juli 2017
South Lake Tahoe TM 1090, 5.7.2017
Schwer zu sagen, welches der vergangenen Wandertage der intensivste gewesen ist. Alle hatten sie ihre besondere Schattierung.
Am Freitagabend, den 23.6. trafen wir auf einen trockenen, sonnenbeschienenen Abschnitt des PCT. Vielleicht wird alles halb so schlimm, hofften wir, allen Warnungen und Panikmache zum Trotz.
Am nächsten Tag wurden wir am Vormittag schon erstmal gefordert. Hinter Red s Meadows führte der Minarett Creek Hochwasser. Ein schmaler Baumstamm lag über dem Wasser, der mit der Strömung mitschwang. Wir versuchten, einen weiteren Stamm anzuschwemmen, um die "Brücke" zu stärken, ohne Erfolg. Wir vermochten diesen in der Strömung nicht zu steuern. Schliesslich sprang Tommii unerschrocken ins Wasser und führte uns einzeln an der Hand, über den wackligen Baumstamm, während er bis zum Bauch im Wasser stand. Robert überlegte sich, ihn fortan zu "Braveheart" umzutaufen.
Bald war es vorbei mit der Idylle: am Nachmittag trafen wir auf Schnee und zu allem Übel setzte auch noch Regen ein. Es wurde zur kräftezehrenden Rutschpartie über die zerfurchte Schneeoberfläche. Als wir unsere Zelte aufschlugen, hatte es aufgehört zu regnen, gleichwohl verschwand jedes in seinem Zelt, ohne das übliche gemeinsame Znacht. Das gemeinsame Essen sieht so aus, dass jede/r seinen Gaskocher vor sich hat und in seinem Bärenkanister nach Essbarem kramt. Ich koche übrigens immer noch und stets gerne mit meinem Holzkocherli.
Am 25.6. kam richtig Sonntagsstimmung auf: mit Mikrospikes an den Füssen war es ein Leichtes, auf den Donahue Pass zu steigen. Das Trio hat es zur Gewohnheit gemacht, auf den Pässen, Kaffee zu kochen und eine Pause einzulegen. Runter ging es ganz leicht: Schnee hat den Vorteil, dass man "runterfahren" oder sich auf dem Hintern runterrutschen lassen kann. Im Tal war es grün, die Sonne schien wieder verlässlich, es ging flott Richtung Tuolumne Meadows. Der Ort war wegen Winterschäden geschlossen, wir waren ganz alleine. Es ist ein magischer Ort, dass wir dort auf unseren ersten Bären, zwei Kojoten und eine Unzahl von Rehen stiessen, unterstrich das nur noch. Der Bär verhielt sich wie ein Haustier: er kam aus dem Wald, steuerte auf uns zu und hielt immer mal wieder inne, um zu schnuppern. Wir hatten kurz davor etwas gegessen. Wir verjagten ihn schliesslich.
Der Wochenbeginn stand ganz im Zeichen der Bachüberquerungen: sie waren anspruchsvoll und aufregend und nie vorhersehbar. Die dritte Überquerung setzte uns allen zu. Ki und Robert waren vor mir, es wollte und wollte nicht vorwärtsgehen. Ich ging zurück ans Ufer und wartete ab. Schliesslich waren die Beiden drüben. Als ich an diesselbe Stelle im Bach gelangte, wurde mir klar, weshalb sie gestockt hatten. Die Strömung war so stark, dass jeder Millimeter vorwärts einen von den Füssen zu holen drohte. Ich versuchte es mehrfach; das Wasser stand mir bis zum Bauch, ich kam nicht vorwärts. Ich wusste, dass ich bei dieser Wasserhöhe und der Stärke der Stromschnellen nichts ausrichten konnte. Mir fehlen ein paar Zentimeter. Ki und Tommii versuchten mir mit einem Stock entgegenzukommen; "so nah und doch so fern" wie Tommii nachher meinte: jeder Versuch einer Vorwärtsbewegung gab mir das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und mitgerissen zu werden. Schliesslich lotste mich Robert etwas bachabwärts, das wäre die Ideallinie gewesen: das Wasser stand weniger tief und ich war wieder manövrierfähig. Ki fragte mich danach, ob ich je soviel konzentrierte männliche Aufmerksamkeit erhalten hätte. Ich bestätigte, dass dies ein besonderer Moment in meinem Leben gewesen ist.
Der Montag hatte es in sich. Wir gelangten zum Matterhorncanyon und suchten nach einer Furtstelle im gleichnamigen Fluss. Wir gingen sicher eine Stunde flussaufwärts, Tommii und Robert testeten erfolglos mehrere Stellen: nichts zu machen. Schliesslich suchten wir, es war mittlerweilen 19:30, flussabwärts. Tommii und Ki drängten auf eine Flussueberquerung noch am Abend und nahmen einiges Risiko auf sich, um verschiedene Stellen auszutesten. Tommii wagte zu viel: ich sehe ihn noch vor mir, wie er nahe des anderen Ufers an einem halb aus dem Wasser ragenden Baumstamm von der Strömung festgehalten wird. "Braveheart" in arger Bedrängnis; er könne sich nicht bewegen, rief er uns zu. Wir überlegten, wie wir ihm zu Hilfe eilen könnten: es war nichts zu machen. Es war schrecklich, ihm tatenlos zusehen zu müssen. Schliesslich rettete sich Tommii irgendwie zurück auf unsere Seite. Wir machten Feuer, er und sein Gepäck waren völlig durchnässt.
Am nächsten Morgen fand Robert unweit unseres Lagerplatzes einen Baumstamm. Der war zwar schmal und glitschig, mit Vorsicht und mit Mikrospikes sicher begehbar. Aber vorerst machten wir erneut Feuer; es war eine kalte Nacht gewesen und alles war steifgefroren.
Natürlich blieb auch der Dienstagabend nicht ohne Überraschung. Wir gelangten gegen Abend in ein enges Tal. Der Trail war durch ein steiles Schneefeld bedeckt, welches sich durch das ganze Tal hinab zog. Unten war ein tosender Bergbach. Wir suchten eine Stelle zum übernachten, um am morgen bei kühlerern Temperaturen und Mikrospikes den Weg sicherer weitergehen zu können.
Unser Lagerplatz war abschüssig: mit Eispickel ebneten wir eine Schlafstelle, und um die Nachtruhe nicht zu gefährden, hatte jede/r einen Baum zwischen sich und dem Hang.
MI 28.6. war ein aufregender Tag. Ein wilder Bach hielt uns lange beschäftigt. Wir suchten nach einer Querungsstelle. Nach all' den Erfahrungen waren alle vorsichtiger geworden. Ich war froh. Ich hatte eine Weile die Befürchtung, dass ich das Abenteuer gefährden könnte. Ich war die Kleinste und das schränkte mich ein, ohne dass ich etwas dagegen hätte tun können.Manchmal können ein paar Zentimeter mehr oder weniger durchaus eine Rolle spielen. Schliesslich fanden wir eine Querungsmöglichkeit: ein riesiger Baumstamm hatte sich über den Stromschnellen verkeilt. Auf dem Hosenboden rutschen wir hinüber. Auf Dreiviertelweg mussten wir auf einem Felsen umsetzen, über Gehölz steigen, um schliesslich die letzten zwei Meter durch hohes und schnelles Wasser zu waden.
Dann via Untergehölz zurück auf den PCT.
Und abends traf das ein, was ich unbedingt vermeiden wollte; schwimmend einen Fluss zu queren. Der Fluss hiess sinnigerweise Wide Creek. Flussaufwärts tobte er je länger je wilder, flussabwärts war er ruhig und breit. Nach vergeblicher Suche ergab ich mich meinem Schicksal. Therm- a- rest Matraze aufblasen, Rucksack draufschnallen und los ging s. Es ging ganz flott, meine Sachen blieben trocken, für Tommii und Ki hiess es einmal mehr: Feuer machen und alles zum trocknen auslegen.
DO 29.6. / So langsam schlich sich die Hoffnung wieder ein, dass nun das Schlimmste, aber auch das Aufregenste vorbei sein könnte. Tatsächlich waren nur die üblichen Bäche und Bächli zu durchwaden. Und: wir wanderten das erste Mal auf einem flachen Stück Schnee. Zu meiner Überraschung hat Robert den Weg direkt über den Lake Dorothy eingeschlagen. Wie immer in heiklen Situationen bat ich die höheren Mächte um Hilfe, in diesem Falle unbekannterweise die Hl. Dorothea. Die machte einen hervorragenden Job.
Am Freitag schafften wir es in Windeseile auf den Sonora Pass. Wir hatten uns Proviant bestellt, der vor Ort geliefert wird. Das war ein Vergnügen: um 10:00 fuhr Casey mit seinem umgebauten Lieferwagen vor, händigte uns unsere Päckli aus und baute einen Grill auf. Wir waren in Feststimmung und hielten uns ein paar Stunden auf dem Pass auf.
Der gefährlichste Teil lag hinter uns. In den insgesamt drei Wochen auf direktem Weg durch die Sierra Nevada hatten wir insgesamt 5 PCT Hiker angetroffen. Die diesjährigen Bedingungen haben den Trail und den sozialen Aspekt völlig verändert. Wir waren begierig darauf, bekannte Gesichter zu treffen. Beim McCab Creek, TM 956, wo ich so Mühe gehabt hatte, waren wir auf drei Amerikaner gestossen, was uns hocherfreute. Sie reagierten PCT- unüblich zurückhaltend. Wir begegnetem dem Englishman: ein mittelalterlicher Mann, Rucksack steht 20 Zentimeter von seinem Rücken ab, er hat einen schwebenden Gang. Niemand kann sich erklären, wie er alleine durch die Sierra gekommen ist und er wundert sich stets über unsere Fragen. Wir trafen auf dem Carson Pass Rockie (ehemals Scavenger) mit dem ich in Agua Dulce gefrühstückt hatte. Er war einer jener, die in drei Monaten in Kanada sein möchten. Heute lacht er über dieses Ansinnen.
Der Freitag, eine Schnittstelle auf unserer Wanderung durch die Sierra Nevada, ging nicht so pflegeleicht zu Ende, wie wir uns das vorgestellt hatten. Kurz nach dem Sonora Pass gelangten wir auf loses vulkanisches Gestein und erneut auf steile Schneefelder. Es war ein beschwerliches Gehen nach unserem Festgelage auf dem Sonorapass. Die Stimmung kippte, jede/r hatte mit sich zu tun. Das scheint sich zu wiederholen: man wiegt sich im Glauben, dass nun alles besser wird und tut sich enorm schwer damit, wenn dem nicht so ist. Es wird langsam besser, aber es sind immer noch etwa 60% Schnee, plus überschwemmter, verlegter Trail. Vielleicht ist das das Geheimnis des Englishman: der macht sich keine Vorstellungen und Hoffnungen, der geht einfach. Ich mache mir immer wieder Vorstellungen und nage dann daran, dass diese nicht eintreffen.
1.7.
Die Nervenkitzelmomente sind vorbei. Wir haben es geschafft. Es geht nur noch darum, an den nächsten Etappenort zu gelangen. Ankommen steht im Mittelpunkt, das ist eine gefährliche Haltung. Ich spüre die Müdigkeit, in meinem Kopf läuft stets die gleiche Melodie, die ich weder benennen noch abstellen kann. Ansonsten fühle ich mich leer. Kein Gedanke, kein Gefühl zum Festhalten. Mir ist etwas unheimlich, ich fürchte eine Ueberreaktion: vielleicht bleibe ich bei der nächsten Pause einfach sitzen, berufe den Tag des schneefreien Wanderns bei trockenem Fusse ein. Oder so.
Ich konzentriere mich auf meine Füsse; die gehen einfach. Passen ihren Rhythmus den Begebenheiten an. Schritt für Schritt. Ich konzentriere mich und befreie mich von diesem unberechenbaren mentalen Zustand. Ich gehe einfach.
Am Sonntag gelangen wir auf den Ebbets Pass. Ueberraschenderweise ist die Passstrasse offen. Spontan beschliessen wir, nach Markleeville zum Sonntagsbraten zu stopen. Das gelingt und die Abwechslung tut uns allen gut. Zurück auf dem Pass rennt uns ein älterer Herr nach; seit Stunden warte er auf PCT Hiker; er hätte Trailmagic bei sich. Dasselbe sollte sich auf dem Carson Pass wiederholen. Wir gelangen sozusagen überernährt nach South Lake Tahoe.