Mittwoch, 5. Juli 2017

South Lake Tahoe TM 1090, 5.7.2017

Schwer zu sagen, welches der vergangenen Wandertage der intensivste gewesen ist. Alle hatten sie ihre besondere Schattierung.

Am Freitagabend, den 23.6. trafen wir auf einen trockenen, sonnenbeschienenen Abschnitt des PCT. Vielleicht wird alles halb so schlimm, hofften wir, allen Warnungen und Panikmache zum Trotz.
Am nächsten Tag wurden wir am Vormittag schon erstmal gefordert. Hinter Red s Meadows führte der Minarett Creek Hochwasser. Ein schmaler Baumstamm lag über dem Wasser, der mit der Strömung mitschwang. Wir versuchten, einen weiteren Stamm anzuschwemmen, um die "Brücke" zu stärken, ohne Erfolg. Wir vermochten diesen in der Strömung nicht zu steuern. Schliesslich sprang Tommii unerschrocken ins Wasser und führte uns einzeln an der Hand, über den wackligen Baumstamm, während er bis zum Bauch im Wasser stand. Robert überlegte sich, ihn fortan zu "Braveheart" umzutaufen.
Bald war es vorbei mit der Idylle: am Nachmittag trafen wir auf Schnee und zu allem Übel setzte auch noch Regen ein. Es wurde zur kräftezehrenden Rutschpartie über die zerfurchte Schneeoberfläche. Als wir unsere Zelte aufschlugen, hatte es aufgehört zu regnen, gleichwohl verschwand jedes in seinem Zelt, ohne das übliche gemeinsame Znacht. Das gemeinsame Essen sieht so aus, dass jede/r seinen Gaskocher vor sich hat und in seinem Bärenkanister nach Essbarem kramt. Ich koche übrigens immer noch und stets gerne mit meinem Holzkocherli.

Am 25.6. kam richtig Sonntagsstimmung auf: mit Mikrospikes an den Füssen war es ein Leichtes, auf den Donahue Pass zu steigen. Das Trio hat es zur Gewohnheit gemacht, auf den Pässen, Kaffee zu kochen und eine Pause einzulegen. Runter ging es ganz leicht: Schnee hat den Vorteil, dass man "runterfahren" oder sich auf dem Hintern runterrutschen lassen kann. Im Tal war es grün, die Sonne schien wieder verlässlich, es ging flott Richtung Tuolumne Meadows. Der Ort war wegen Winterschäden geschlossen, wir waren ganz alleine. Es ist ein magischer Ort, dass wir dort auf unseren ersten Bären, zwei Kojoten und eine Unzahl von Rehen stiessen, unterstrich das nur noch. Der Bär verhielt sich wie ein Haustier: er kam aus dem Wald, steuerte auf uns zu und hielt immer mal wieder inne, um zu schnuppern. Wir hatten kurz davor etwas gegessen. Wir verjagten ihn schliesslich.

Der Wochenbeginn stand ganz im Zeichen der Bachüberquerungen: sie waren anspruchsvoll und aufregend und nie vorhersehbar. Die dritte Überquerung setzte uns allen zu. Ki und Robert waren vor mir, es wollte und wollte nicht vorwärtsgehen. Ich ging zurück ans Ufer und wartete ab. Schliesslich waren die Beiden drüben. Als ich an diesselbe Stelle im Bach gelangte, wurde mir klar, weshalb sie gestockt hatten. Die Strömung war so stark, dass jeder Millimeter vorwärts einen von den Füssen zu holen drohte. Ich versuchte es mehrfach; das Wasser stand mir bis zum Bauch, ich kam nicht vorwärts. Ich wusste, dass ich bei dieser Wasserhöhe und der Stärke der Stromschnellen nichts ausrichten konnte. Mir fehlen ein paar Zentimeter. Ki und Tommii versuchten mir mit einem Stock entgegenzukommen; "so nah und doch so fern" wie Tommii nachher meinte: jeder Versuch einer Vorwärtsbewegung gab mir das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und mitgerissen zu werden. Schliesslich lotste mich Robert etwas bachabwärts, das wäre die Ideallinie gewesen: das Wasser stand weniger tief und ich war wieder manövrierfähig. Ki fragte mich danach, ob ich je soviel konzentrierte männliche Aufmerksamkeit erhalten hätte. Ich bestätigte, dass dies ein besonderer Moment in meinem Leben gewesen ist.

Der Montag hatte es in sich. Wir gelangten zum Matterhorncanyon und suchten nach einer Furtstelle im gleichnamigen Fluss. Wir gingen sicher eine Stunde flussaufwärts, Tommii und Robert testeten erfolglos mehrere Stellen: nichts zu machen. Schliesslich suchten wir, es war mittlerweilen 19:30, flussabwärts. Tommii und Ki drängten auf eine Flussueberquerung noch am Abend und nahmen einiges Risiko auf sich, um verschiedene Stellen auszutesten. Tommii wagte zu viel: ich sehe ihn noch vor mir, wie er nahe des anderen Ufers an einem halb aus dem Wasser ragenden Baumstamm von der Strömung festgehalten wird. "Braveheart" in arger Bedrängnis; er könne sich nicht bewegen, rief er uns zu. Wir überlegten, wie wir ihm zu Hilfe eilen könnten: es war nichts zu machen. Es war schrecklich, ihm tatenlos zusehen zu müssen. Schliesslich rettete sich Tommii irgendwie zurück auf unsere Seite. Wir machten Feuer, er und sein Gepäck waren völlig durchnässt.

Am nächsten Morgen fand Robert unweit unseres Lagerplatzes einen Baumstamm. Der war zwar schmal und glitschig, mit Vorsicht und mit Mikrospikes sicher begehbar. Aber vorerst machten wir erneut Feuer; es war eine kalte Nacht gewesen und alles war steifgefroren.

Natürlich blieb auch der Dienstagabend nicht ohne Überraschung. Wir gelangten gegen Abend in ein enges Tal. Der Trail war durch ein steiles Schneefeld bedeckt, welches sich durch das ganze Tal hinab zog. Unten war ein tosender Bergbach. Wir suchten eine Stelle zum übernachten, um am morgen bei kühlerern Temperaturen und Mikrospikes den Weg sicherer weitergehen zu können.
Unser Lagerplatz war abschüssig: mit Eispickel ebneten wir eine Schlafstelle, und um die Nachtruhe nicht zu gefährden, hatte jede/r einen Baum zwischen sich und dem Hang.

MI 28.6. war ein aufregender Tag. Ein wilder Bach hielt uns lange beschäftigt. Wir suchten nach einer Querungsstelle. Nach all' den Erfahrungen waren alle vorsichtiger geworden. Ich war froh. Ich hatte eine Weile die Befürchtung, dass ich das Abenteuer gefährden könnte. Ich war die Kleinste und das schränkte mich ein, ohne dass ich etwas dagegen hätte tun können.Manchmal können ein paar Zentimeter mehr oder weniger durchaus eine Rolle spielen. Schliesslich fanden wir eine Querungsmöglichkeit: ein riesiger Baumstamm hatte sich über den Stromschnellen verkeilt. Auf dem Hosenboden rutschen wir hinüber. Auf Dreiviertelweg mussten wir auf einem Felsen umsetzen, über Gehölz steigen, um schliesslich die letzten zwei Meter durch hohes und schnelles Wasser zu waden.
Dann via Untergehölz zurück auf den PCT.
Und abends traf das ein, was ich unbedingt vermeiden wollte; schwimmend einen Fluss zu queren. Der Fluss hiess sinnigerweise Wide Creek. Flussaufwärts tobte er je länger je wilder, flussabwärts war er ruhig und breit. Nach vergeblicher Suche ergab ich mich meinem Schicksal. Therm- a- rest Matraze aufblasen, Rucksack draufschnallen und los ging s. Es ging ganz flott, meine Sachen blieben trocken, für Tommii und Ki hiess es einmal mehr: Feuer machen und alles zum trocknen auslegen.

DO 29.6. / So langsam schlich sich die Hoffnung wieder ein, dass nun das Schlimmste, aber auch das Aufregenste vorbei sein könnte. Tatsächlich waren nur die üblichen Bäche und Bächli zu durchwaden. Und: wir wanderten das erste Mal auf einem flachen Stück Schnee. Zu meiner Überraschung hat Robert den Weg direkt über den Lake Dorothy eingeschlagen. Wie immer in heiklen Situationen bat ich die höheren Mächte um Hilfe, in diesem Falle unbekannterweise die Hl. Dorothea. Die machte einen hervorragenden Job.

Am Freitag schafften wir es in Windeseile auf den Sonora Pass. Wir hatten uns Proviant bestellt, der vor Ort geliefert wird. Das war ein Vergnügen: um 10:00 fuhr Casey mit seinem umgebauten Lieferwagen vor, händigte uns unsere Päckli aus und baute einen Grill auf. Wir waren in Feststimmung und hielten uns ein paar Stunden auf dem Pass auf.
Der gefährlichste Teil lag hinter uns. In den insgesamt drei Wochen auf direktem Weg durch die Sierra Nevada hatten wir insgesamt 5 PCT Hiker angetroffen. Die diesjährigen Bedingungen haben den Trail und den sozialen Aspekt völlig verändert. Wir waren begierig darauf, bekannte Gesichter zu treffen. Beim McCab Creek, TM 956, wo ich so Mühe gehabt hatte, waren wir auf drei Amerikaner gestossen, was uns hocherfreute. Sie reagierten PCT- unüblich zurückhaltend. Wir begegnetem dem Englishman: ein mittelalterlicher Mann, Rucksack steht 20 Zentimeter von seinem Rücken ab, er hat einen schwebenden Gang. Niemand kann sich erklären, wie er alleine durch die Sierra gekommen ist und er wundert sich stets über unsere Fragen. Wir trafen auf dem Carson Pass Rockie (ehemals Scavenger) mit dem ich in Agua Dulce gefrühstückt hatte. Er war einer jener, die in drei Monaten in Kanada sein möchten. Heute lacht er über dieses Ansinnen.

Der Freitag, eine Schnittstelle auf unserer Wanderung durch die Sierra Nevada, ging nicht so pflegeleicht zu Ende, wie wir uns das vorgestellt hatten. Kurz nach dem Sonora Pass gelangten wir auf loses vulkanisches Gestein und erneut auf steile Schneefelder. Es war ein beschwerliches Gehen nach unserem Festgelage auf dem Sonorapass. Die Stimmung kippte, jede/r hatte mit sich zu tun. Das scheint sich zu wiederholen: man wiegt sich im Glauben, dass nun alles besser wird und tut sich enorm schwer damit, wenn dem nicht so ist. Es wird langsam besser, aber es sind immer noch etwa 60% Schnee, plus überschwemmter, verlegter Trail. Vielleicht ist das das Geheimnis des Englishman: der macht sich keine Vorstellungen und Hoffnungen, der geht einfach. Ich mache mir immer wieder Vorstellungen und nage dann daran, dass diese nicht eintreffen.

1.7.
Die Nervenkitzelmomente sind vorbei. Wir haben es geschafft. Es geht nur noch darum, an den nächsten Etappenort zu gelangen. Ankommen steht im Mittelpunkt, das ist eine gefährliche Haltung. Ich spüre die Müdigkeit, in meinem Kopf läuft stets die gleiche Melodie, die ich weder benennen noch abstellen kann. Ansonsten fühle ich mich leer. Kein Gedanke, kein Gefühl zum Festhalten. Mir ist etwas unheimlich, ich fürchte eine Ueberreaktion: vielleicht bleibe ich bei der nächsten Pause einfach sitzen, berufe den Tag des schneefreien Wanderns bei trockenem Fusse ein. Oder so.
Ich konzentriere mich auf meine Füsse; die gehen einfach. Passen ihren Rhythmus den Begebenheiten an. Schritt für Schritt. Ich konzentriere mich und befreie mich von diesem unberechenbaren mentalen Zustand. Ich gehe einfach.

Am Sonntag gelangen wir auf den Ebbets Pass. Ueberraschenderweise ist die Passstrasse offen. Spontan beschliessen wir, nach Markleeville zum Sonntagsbraten zu stopen. Das gelingt und die Abwechslung tut uns allen gut. Zurück auf dem Pass rennt uns ein älterer Herr nach; seit Stunden warte er auf PCT Hiker; er hätte Trailmagic bei sich. Dasselbe sollte sich auf dem Carson Pass wiederholen. Wir gelangen sozusagen überernährt nach South Lake Tahoe.

1 Kommentar:

  1. Lieblingsromana, ich weiss gar nicht, wo anfangen: Ich bin stolz und froh und verfolge Deinen Weg u gerne mit. Zum Glück habt Ihr die ganzen Flüsse heil überstanden. Ich wusste, dass wenn's jemand drauf hat, dann Du. Man ist ganz nah dran, wenn Du schreibst, selbst beim Rauchen bei 30 Grad auf dem Balkon. Heb Dir weiterhin Sorge. Und viel Freude weiterhin! Eine Umarmung von Balkonien, Eva

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