Es war ganz still am frühen Morgen. Am Abend zuvor hatte sich ein Gewitter entladen, das sich den ganzen Nachmittag aufgebaut hatte. Es schien den Wald und seine Bewohner in einen Tiefschlaf versetzt zu haben. Der Regen fühlte sich "heimelig" an, das letzte Mal hatte es in der Sierra, im Juni, geregnet. Ich war froh, dass ich nur am Rande davon betroffen war. Am nächsten Tag sollte ich über mehrere Kilometer ungeschmolzenen Hagelfeldern begegnen.
Wie es wohl Vicky ergangen ist? Sie sass wenige Kilometer vom Highway entfernt am Wegrand. Sie habe ihre Wasserflasche im Auto verloren und nichts zu trinken. Sie sei neu auf dem Trail und habe sich Oregon vorgenommen. Ich gebe ihr, was ich erübrigen kann, damit sie es zur nächsten Wasserquelle schafft. Dann erschwert sie sich ihren ersten Tag noch damit, dass sie mir zu folgen versucht. Das wird nicht gut gehen. Das ist ein Phänomen, das ich mehrfach beobachtet habe: Hiker, die auf dem Trail Besuch erhalten und eine Weile gemeinsam wandern. Man erkennt diese Wandergschpännli am leicht verzweifelten Gesichtsausdruck: die Langdistanzwanderer versuchen zu bremsen, der Besuch versucht, so schnell wie möglich zu laufen. Der Frust ist vorprogrammiert. Ich schätze unser Tempo, auf 4-5,5 km/Std. Bei Fifty Shades und seiner Begleitung dürfte die Anspannung andere Gründe haben. Er war bisher mit einer Trailfreundin unterwegs. Seit heute begleitet ihn seine "off trail"- Partnerin aus seinem normalen Leben. Es bleiben noch genug Wandertage bis Kanada, um die Sache zu klären. Vicky war heilfroh, auf eine Anfängerin zu stossen und ich hatte den Eindruck, Fifty Shades ging es ebenso.
Das soziale Leben auf dem Trail bleibt Stückwerk. Man weiss nie, wem man wann und ob überhaupt wieder begegnet. Verstärkt wurde diese Dynamik wegen den Bedingungen in der Sierra Nevada, neu kommen die Waldbrände dazu. Dort, wo Teile des PCT gesperrt sind, umfahren einige die Sperrzone, andere umlaufen diese, auch wenn das " roadwalk" zur Folge hat, laufen auf der Strasse. Durch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten treffe ich immer wieder auf neue Leute. Immerhin, es gibt Neuigkeiten von einer alten Bekannten: Morello, mit Teddybär im Schlepptau, hält sich im Norden Oregons auf. Sie hatte gesundheitliche Probleme und musste pausieren. Vielleicht gibt es ein Wiedersehen, das wäre schön.
Wie oft wurde mir empfohlen, den Süden Oregons auszulassen; da gäbe es nichts zu sehen. Ich bin anderer Meinung. Ich bin erstaunt, wie mich diese vulkanische Landschaft anspricht. Der Waldanteil hat zweifellos zugenommen, von einem grünen Tunnel zu sprechen, ist übertrieben. Der Wald ist licht, öffnet sich immer wieder und wird unterbrochen durch riesige Lavasteinfelder. Der PCT wurde aufwändig in den schwarzen Gesteinsmassen angelegt. Roter, zermalmter Lavastein wurde dazu hergebracht. Faszinierend. Mir scheint, es geht eine ungeheure Kraft von diesen Geröllhalden aus. Der Weg ist grösstenteils flach, der Rhythmus wird nur durch die vielen gefallenen Bäume und durch die Beeren unterbrochen. Letzteres hat vor Seiad Valley begonnen: dort hatte es Unmengen von Brombeeren und etwas, was "google" mit Zimthimbeere übersetzt (thimbleberry). Die Beere ähnelt optisch der Himbeere, geschmacklich erinnert sie an die nordische Moltebeere. Rote Heidelbeeren und vereinzelt blaue Himbeeren.
Ein Höhepunkt in vulkanischen Landschaften, der Craterlake, musste allerdings hart erlaufen werden. Der PCT war teilweise gesperrt und ich habe mich dazu entschlossen, den Umweg zu laufen. Das war anfänglich reizvoll: der Weg nach Klamath Falls war topfeben, die Sonne ging auf, links und rechts riesige Rinderweiden.
Die Idylle wurde im Dorf kurzfristig getrübt, weil mich ein Ladenbesitzer rüde wegwies. Der Laden öffne erst in einer Stunde und ich würde andere zum Anhalten verleiten, was wiederum die Hotelgäste wecken würde und überhaupt sei das Privatbesitz. Dieses Verhalten ist eine Ausnahmeerscheinung und hinterliess mich perplex. Die Amerikaner sind uns ansonsten außerordentlich gut gesinnt.
Also keine Stärkung aus dem Bioladen vor dem Strassenabschnitt bis Mazama Village, Crater Lake. Ich habe bis jetzt keine Lücken auf dem Weg von der mexikanischen Grenze und hoffe, es bleibt dabei. Allerdings ist so ein "roadwalk" nichts Vergnügliches. Es ist Autopilot rein und ab durch die Mitte. Ich hatte an diesem Tag meine kleine, aber feine Trailmagic. Ein junger Mann hielt an und drückte mir Mirabellen in die Hand. Später gab mir ein Autofahrer eine Flasche Wasser. Ein weiterer munterte mich auf, du hast es beinahe geschafft.
Der Crater Lake hält, was er verspricht, er hat eine ungeheure Ausstrahlung. Er hiess früher Lake Majesty, absolut nachvollziehbar. Was für magischer Anblick, ich konnte mich nicht sattsehen. Wir hatten das Glück, dass der nahe am See geführte, westliche Klippenweg gestern wieder frei gegeben wurde. Dadurch liess sich das richtig auskosten.
Ich bin blogerisch zeitlich im Hintertreffen. Bin bereits Richtung Shelter Cove unterwegs und hoffe, Euch dort wieder auf den aktuellen Stand bringen zu können.
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