Donnerstag, 27. Juli 2017
Samstag, 22. Juli 2017
Mount Shasta, 27.7.17/TM 1498
1325 m nach Mexiko. Midpoint.
1325 m nach Kanada.
Die Angaben stehen auf einem unscheinbaren, schlichten Betonpfeiler am Wegrand. Die Hälfte also.
Mit jedem Schritt wird der Weg nach Kanada kürzer, der Weg nach Mexiko weiter. Logisch und unbegreiflich zugleich.
Kanada 1152 m Mexiko 1498 m.
Die Botschaft wird deutlicher. Ich habe zeitlich und streckenmäßig mehr als die Hälfte hinter mir. Dieser zurückliegende Meilenstein irritiert mich. Ist es "schon" oder ist es "erst" die Hälfte? Ich bin mir nicht schlüssig.
Die trockenen Wege Nordkaliforniens sind landschaftlich abwechslungsreich und anspruchslos zu gehen. Gleichwohl empfinde ich zuweilen einen gewissen Überdruss. Die Meilen ziehen sich hin, freudlos gehe ich meinen Weg. Die Strecke bis Seiad Valley und Oregon sind jene Abschnitte, wo man grosse Tagesstrecken zurücklegt; 30 und mehr Meilen. Das tue ich nicht, ich laufe 20- 25 Meilen täglich, ohne feste Planung. Gleichwohl ist die tägliche Strecke in den Mittelpunkt gerückt, hat anderes verdrängt. Da hat sich etwas schleichend verschoben. Ich habe mich heute mit Chasing Freedom und Hipbelt darüber unterhalten*. Denen geht es ähnlich, es komme ihnen so vor, als ob sie morgens einstempeln und dann ihre Meilen abspulen würden. Ein Meilenstein- und das ist der "midpoint"- fordert einen zur Zwischenbilanz auf.
Ich bin in Mount Shasta, welches seinem Ruf als Hippieort vollauf gerecht wird. Ich werde über die Bücher gehen, wie ich die kommenden zwei Monate gestalten werde. Klar, die Strecke ist lang und will gelaufen sein. Gleichzeitig gilt es sorgsam ein Auge auf das fragile Gleichgewicht zwischen Freude am Laufen und Leben draussen und den mühsameren Aspekten des Traillebens zu halten. Ich habe das dringende Bedürfnis mehr Zeit für anderes zu haben, zum lesen, mich informieren über die Gegend, die ich durchlaufe oder mehr Zeit an idyllischen Orten verbringen. Sonst geht es mir eines Tages wie Forrest Gump; auf einmal bleibe ich stehen. Die Freude ist mir abhanden gekommen und ich gehe nach Hause.
Es hat genügend Gründe gegeben, weiterzugehen: die Höhenwanderung nach Old Station über dem Hat Creek Valley. Der Blick auf den Mount Shasta. Und gestern sind wir einer Bärenfamilie begegnet. Nonstop, eine 23 jährige Amerikanerin mit einem engen Zeitplan, hat sich die letzten Tage mir angeschlossen. Sie hat Angst vor allen möglichen Viechern und v.a. alleine zu campen. Ihren Namen habe sie erhalten, weil sie eine Plaudertante sei. Wir hatten' s gut miteinander, Nonstop ist unterhaltsam, herzlich und kommunikativ, weiss über alle Bescheid, weil sie mit allen redet. Das lässt sie ständig hinter ihren Zeitplan zurückfallen, was sie ihrem unpassenden Schuhwerk zuschreibt. Dieses wiederum führt dazu, dass sie sich mehrfach täglich ohne Ankündigung, dafür mit weitherum hörbarem Seufzer auf den Trail fallen lässt, um auszuruhen.
Ich ging voran. Als ein kleiner Bär über den Trail rannte, war ich alarmiert. Vor solchen Situationen wird gewarnt, das könnte gefährlich werden. Schliesslich entdeckten wir die Bärenmutter, sie jagte ihre beiden Jungen einen Baum hoch und wandte sich, mit dem Rücken zu uns, aber uns beobachtend, ab. Wir interpretierten dies als Erlaubnis, unseren Weg fortzusetzen. Wir taten dies, stets gut sicht- und hörbar für die Bärenmutter. Nonstop winkte den Knuddelbären, die erschreckt am Baum hingen, mit Jö- Rufen zu. Wir waren begeistert.
Zurück zum Midpoint. Ich hatte mir für alle Fälle illegaler**- und passenderweise einen Schluck " moonshine" Whiskey abfüllen lassen.
Ich stosse auf die Erlebnisse der ersten Hälfte an, auf die restliche Strecke und mit dem letzten Schluck verbinde ich ein Danke. Nonstop würde noch einen dramatischen Seufzer anfügen.
* Mit den beiden sind wir (+Madame) damals über den höchsten Pass, den Forester gelaufen.
** In Kalifornien ist es den Barkeepern verboten, Alkoholika über die Gasse zu verkaufen. "Moonshine" ist ein Whiskey, welcher in Aufmachung (Blechkanister) an die Zeit der Prohibition erinnert.
Donnerstag, 20. Juli 2017
Chester- Old Station 20.7.17/TM 1378
Ich könnte diesen Blog frei nach Christine Thürmer: Laufen. Essen. Schlafen. Begegnen. betiteln. Das Verkehrsaufkommen auf dem Trail hat zugenommen, ich begegne täglich etwa einem Dutzend Hiker, in Ortschaften sogar mehr. Und da man auf dem Trail eine feste Identität hat, gehört man automatisch dazu. Ich werde regelmäßig auch von Ausflüglern angesprochen. Die amerikanische Leichtigkeit, mit anderen in Kontakt zu treten, tun das ihre. Eine ganz andere Geschichte ist es, wenn man sich weit weg man vom Trail befindet; da sinkt das Ansehen rapide; Kleider, Rucksack und die Gesamterscheinung wollen nicht so recht in die Zivilisation passen.
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und ich bin bereits an acht in Schlafsäcken eingemummelten Hikern vorbeigewandert. Aus einem Schlafsack schaut überraschenderweise eine Katze und jemand sagt, ohne die Augen zu öffnen: "How do you do?" Bei den nächsten Beiden, die mitten im Weg liegen tönts:"You are off trail". Tatsächlich, der Weg führt durch den Bach gleich daneben.
Francoise kreuzt mich auf ihrem Weg nach Süden. Wir halten ein Kafichränzli mitten im Walde ab. Als nächstes kommt Patchwork, die Polin des Weges. Welch' Freude, sie wiederzusehen. Sie war mit einer Gruppe in der Sierra. Eine lebensgefährliche Situation (eine Frau wurde bei einer Gruppenüberquerung losgelassen und konnte durch andere aus der Strömung gerettet werden) hätte sie zum schweren Schritt bewogen, die Sierradurchquerung abzubrechen und nach Norden zu reisen. In Belden traf ich auf mittlerweilen bärtige Männer, denen ich in der Wüste letztmals begegnet bin. Es seien noch Viele von uns aus der Anfangszeit auf dem Trail, aber verteilt in alle Winde. Der Purist ist da. Er ging in der Anfangszeit mich jeweils an den Dorfeingang zurück, um keinen Trailmeter auszulassen. Er lacht herzlich darüber. Mit dem Englishman esse ich Fish & Chips. Er ist scheu, meidet Menschengruppen und hat einen trockenen Humor. Er erzählt von seinem der Sierra. Der Alleingang ist nicht spurlos an ihm vorbei gegangen. Er hätte sich völlig verausgabt, sei ständig unter Hochspannung gewesen. Er habe sich kaum Zeit zum essen und trinken genommen. Am meisten ärgert ihn, dass er am Sonora Pass, wo eigentlich alles vorbei hätte sein sollen, ein Schneefeld hinuntergestürzt und sich die Arme aufgerissen habe. Es sei abends um 18.00 zu müde gewesen, um das Schneefeld zu umklettern. Das Thema Sierra nimmt immer noch viel Raum ein. Auch beim Dampfplauderer, ein Ultraleichtgewichtswanderer, der uns zwischendurch alle stehen lässt. Er überfällt einen richtiggehend mit seinen Fragen, nervt und ist amüsant zugleich. Er will von allen wissen, ob sie die Sierra durchwandert und falls ja, ob auf der Originalroute. Mir erzählt er, dass es für ihn mit seiner Erfahrung ein Leichtes gewesen sei. Abends höre ich, wie er zwei Frauen höchst dramatisch von seiner Sierra Erfahrung erzählt. Auf dem Weg in die Stadt überholt er mich, kommentiert, dass ihm das Stadtfieber fremd sei, wo es doch hier draussen so schön sei. DP zweigt unmittelbar scharf rechts ab, setzt sich im Schneider Sitz in ein unscheinbares Stück Wald, um sich einem intensiven Naturerlebnis hinzugeben.
Eine Meile vom Highway 36 entfernt treffe ich auf Robert, 72. Er wolle wieder ein kurzes Stück PCT laufen, bis er alles zusammengestückelt hat. Der Anfang sei hart, was ihn sichtlich frustriert. Ein unbekannter Hiker hätte ihn hierher gefahren und habe den Auftrag, sein Auto in Old Station zu hinterlassen. Vielleicht hätte er sich doch den Namen und die Telefonnummer notieren sollen.
Der PCT ist wieder ein Schönerwettertrail. Sanft geht es auf und ab. Durch lichte Nadelwaldbestände, mit wüstenähnlichen , staubigen Unterbrüchen mit Blick in die Weite. Gestern ging s durch den Lassen NP, der ganz im Zeichen von vulkanischem Geschehen. Da blubbert heisser Schlamm, ein kleiner See enthält kochend heisses Schwefelwasser, ein Geysir dampft und kleine Rinnsale heissem Wassers sind anzutreffen.
Es ist erholsam und ich geniesse es sehr, dass das Leben auf dem Trail wieder aus mehr besteht als Laufen. Essen. Schlafen.
Samstag, 15. Juli 2017
Donnerpass- Belden 16.7./TM 1285
Der 12. Juli wurde schließlich ohne mein Zutun zum Tag des schneefreien Wanderns und die Füsse blieben den ganzen Tag trocken. Das erste Mal seit 3 Wochen. Was für ein Vergnügen; der Weg war sichtbar, sogar die PCT- Zeichen, welche wir in den Bergen vermisst hatten, tauchten wieder auf. Keine Wegsuche und kein ständiges GPS navigieren. Die Berge liegen hinter mir, der PCT bewegt sich zwischen 1500- 2300 Metern sanft auf und ab. Landschaftlich laufe ich durch Nadel- und Zedernwälder und wüstenähnlichen trockenen Abschnitten, wo es auch mal wieder klappert. Hinzu kommen die Schluchten mit vertrautem Mischwald und munteren Bächen. Die Badesaison hat nun auch für mich angefangen.
Alle Zeichen stehen auf Normalisierung.
Es gibt sie doch noch, die PCT Hiker; auf einmal trifft man wieder auf bekannte und unbekannte Leute. Es ist ein ziemliches Durcheinander: da ist die grosse Gruppe jener, die nach Ashland gereist sind und sich der Sierra Nevada von Norden nähern, da ist eine Gruppe, welche die Sierra vorerst mal ausgelassen und ab Donnerpass Richtung Kanada marschiert. Wir, die wir ohne Unterbruch durchgewandert sind, gehören- so wie es ausschaut- einer Minderheit an. Ich treffe täglich auf etwa ein Dutzend Wanderer in beiden Richtungen. Und folglich wird das Buschtelefon wieder aktiviert. Martin, mit dem ich von Kennedy Meadows losgewandert bin, hat den Trail abgebrochen und ist nach Hause geflogen ist. Ebenso eine der Australierinnen, Dropbear.
Zwei weitere Altbekannte haben mich mit Namen begrüsst, ich habe sie nicht wieder erkannt. Es seien nicht so viele Frauen in meinem Alter unterwegs, deshalb würden sie sich meiner erinnern. Die Beiden sind äusserst liebenswürdig und sympathisch, gehören aber bedauerlicherweise zur Fraktion der Wasserscheuen und erstarren vor Dreck. Was da wohl für Gedanken dahinter stehen? Je schmutziger, desto Abenteuer? Bei mir hinterlässt es jedenfalls einen ebenso nachhaltigen Eindruck wie mein Jahrgang bei ihnen.
Ich habe in Reno ein neues Handy gekauft, nachdem das Erste regelmässig meine Apps abgeschaltet und es über Wochen unbrauchbar gewesen war. Das Neue funktioniert und ich freue mich sehr darüber. Allerdings verhalte ich mich nach all' dem Pech irrational. Ich fasse das Teil nur mit Samthandschuhen an und morgens, vor dem Einschalten, wo das neue Alte mehrfach versagt hatte, bin ich meist noch etwas angespannt. Ich befreie mich sämtlicher negativer Gedanken und tätige erst dann hoffnungsfroh den Einschaltknopf. Es nützt, wie Ihr sieht. Auch das wird sich wieder normalisieren. Hoffentlich.
Seit dem Donnerpass laufe ich wieder alleine. Das ging nahtlos und fühlt sich gut und vertraut an. Es ist gut, wieder auf mich gestellt zu sein und meinem Rhythmus zu folgen.
Sorgen macht mir, dass der Blog unter soviel Normalität leiden könnte. Ich habe Gefallen daran gefunden, zu bloggen. Ich könnte mich um einen aufgeregteren Tonfall bemühen. "Nicht einfach", würde Tommii sagen. Neulich nachts beispielsweise, da wollte ein Reh hinter meine Vorräte. Ein Reh, kein Bär, den ich mit meinen neuen, spitzen Wanderstöcken in die Flucht hätte schlagen, um nachher detailreich davon erzählen zu können. Ein glubschäugiges Reh, das sich selber in die Flucht geschlagen hat, weil es an den Pfannendeckel geraten war. Einem Bären bin ich später, unterwegs, begegnet. Ich hätte ihn vielleicht sogar übersehen, hätte dieser blondierte Schwarzbär nicht wie wild die Flucht vor mir ergriffen. Ein prächtiges Bild, wie der Bär kraftvoll bergaufwärts stürmte.
Bin mittlerweilen in Belden auf 700m angelangt. Ein kleiner Ort mit einem Laden, einer Beiz und einem Fluss zum Baden. Ich liebe diese kleinen Orte, sie enthalten für mich gute, alte Wildweststimmung. Ich werde mir morgen Zeit lassen, schwimmen gehen und mich nachher dem amerikanischen Frühstück widmen, bevor ich auf der anderen Seite hochsteige, was ich heute abgestiegen bin. Ein ganz normaler Sonntag.
E scheene Sonntig