Donnerstag, 26. Oktober 2017

Vancouver B.C.- Kloten- Zug- Sarnen

Nach mehrstündiger Verspätung traf ich in Kloten ein. Beim Ausgang hörte ich eine vertraute Stimme: "Ich sehe sie". Trotz mehrfacher Warnung meinerseits, hatte sich meine Familie am späten Montagabend am Flughafen eingefunden.
AWESOME!
Da standen sie mit Willkommensplakaten* an der Bande und sangen mit voller Kehle "Country road, take me home, to the place, I belong.." Ein herzergreifender Anblick, etwas für 's "Gmüet".
Wir stiessen trailgerecht draussen auf das Wiedersehen an und plauderten familiengerecht wild und fröhlich durcheinander. (Milo würde von almodovarschen Zuständen sprechen)
Ich danke Euch für den herzlichen Empfang.


Ein paar Stunden später fand ich mich alleine zu Hause wieder. Der Wagen wirkte kalt und unbelebt. Die Willkommenskarten vermochte ich erst gar nicht lesen, ich fühlte mich auf einmal verloren. Ich bin zurück, ob ich fähig bin, die Erkenntnisse und Einsichten der letzten Monate in meinen Alltag zu integrieren? Oder ob der Alltag wieder dort weitergeht, wo ich aufgehört habe? Die Angst geht vorüber. Innerlich fühlt sich einiges anders an und das ist gut so.


Die Tage und Wochen fliegen vorbei. Als Erstes stand der Umzug an. Und immer wieder wurde ich Willkommensaperos und- essen eingeladen. Es ist eine gfreute Sache. Mit den goldenen Herbsttagen erweiterte sich das Repertoire: beim gemeinsamen Wandern lässt sich wunderbar aufholen, was ich verpasst habe.


Es ist wunderbar, so empfangen zu werden. Ich trage mich deshalb mit dem Gedanken, öfters und länger zu verreisen, die erste Anregung liegt schon vor (s.u.)


Nachtrag:
Ich habe einige Leute, die ich im Blog erwähnt hatte, nicht mehr getroffen. Ab und zu habe ich über das Buschtelefon Neues erfahren.


Die Jungs von der U.N., wir haben uns später Trailmix genannt, haben sich kurz nach der Sierra aufgelöst und wurden wieder zu Solohikern. Robert (Mountain Rabbit) war anfangs September als Erster am Ziel, Master Ki und Tommii (Polar Bear) folgten ein paar Tage später. Alle Drei  sorgten für Trailmagic auf dem Stevens Pass WA und verpflegten um die 25 PCT Wanderer. Ich war nicht darunter, der Pass lag schon hinter mir. Sehr schade, ich hätte die Drei gerne wiedergesehen. Wir haben die Sierra Nevada im Juni 2017 auf der Originalroute gemeinsam durchquert und dieses Abenteuer verbindet uns.


Den Englishman habe ich zum letzten Mal auf dem White Pass gesehen. Er wirkte völlig erschöpft und überlegte sich gleichwohl, die lange, feuerbedingte Wegsperre in Washington auf der Strasse zu umgehen. Er wäre eine der Wenigen, welche die beinahe 200 Kilometer Asphalt gelaufen wären.


Cotton Candy ist bis Kennedy Meadows geschwebt und hat ihre Wanderung dort abgebrochen. sie hat sich die Sierra mangels Erfahrung nicht zugetraut und will den PCT nächstes Jahr fortsetzen.


Francoise hat die kanadische Grenze erreicht und plant, die Lücken nächstes Jahr zu schliessen.


Von Dopy, dem jungen Texaner mit dem Anfängergeist, welcher alle drei amerikanischen Weitwanderwege gehen wollte, ward seit Nordkalifornien nichts mehr gehört noch gesehen. Ich fürchte, seine Pläne sind seinem Hobby zum Opfer gefallen.


Die australischen Ladies, Redback und Dropbear , haben getan, was sie von Beginn weg angekündigt haben: sie haben den Schnee vermieden.


Chasing Freedom und Hipbelt, mit denen ich am Forester Pass unterwegs gewesen bin, haben den PCT in Mount Shasta abgebrochen. Sie haben die Freude am Laufen verloren und haben die Konsequenzen daraus gezogen. Eine Entscheidung, die ich sehr bedauerte, gleichzeitig war sie mutig und klar.


Morello habe ich leider, leider auch verpasst. Sie war ein paar Tage vor mir an der Grenze und ist gleich nach Kalifornien weitergereist. Ihre Beziehung zu Teddybär hat sich nicht verändert, "Er würde mich morgen heiraten, wenn ich ihn liesse" O- Ton Morello. Obwohl sie einige Schwierigkeiten hatte und den PCT nicht vollständig laufen konnte, plant sie bereits die nächste Weitwanderung. Sie will 2019 den Continental Divide Trail laufen und hat mich als Wandergschpännli angefragt. Ich fühle mich gebauchpinselt, aber ich habe dankend abgelehnt. Bei allem Sinn für Drama: ich will nicht die Nachfolge von Teddybär antreten.


An meinem letzten Wandertag habe ich von No English gehört. Sie habe mit ihrem Trailnamen stets für Heiterkeit gesorgt. Sie hat ihre bunt getupfte Wanderpartnerin verlassen und ist zur energischen Solohikerin geworden. Sogar etwas englisch habe sie gelernt, weshalb man sich überlegt hat, sie in "Now English" umzutaufen.


Fifty Shades und Dorian, der französische Frührentner, sind an demselben Tag wie ich am Northern Terminus eingetroffen. Fifty Shades hatte vor, dort mit mir ein zeremonielles Pfeifchen zu rauchen. Ich habe ihn auf dem Rückweg angetroffen, er ist zu spät aufgestanden. Oder, wenn ich es mir so überlege, vielleicht doch nicht.


* Auf der Rückseite der Plakate wird für Psychopharmaka geworben. Zufall oder wären die Plakate je nach meinem Zustand umgedreht worden?









Montag, 25. September 2017

Seattle- Victoria- Vancouver, 27.9.- 1.10.17

Einmal mehr ist ein Kontrastprogramm angesagt. Heute morgen bin ich noch in der Untergeschoss- Suite bei Kay und Randy erwacht. Heute Abend schlafe ich bei Trailangel Dick und seiner Frau. Er hat sich als demokratisch- sozialistischer Aktivist vorgestellt und analysiert sogleich die aktuelle Lage. In seinem kleinen Haus leben verschiedenste Menschen: nebst ihm und seiner Frau, ein Somalier, ein amerikanisches Paar und immer mal wieder ein PCT Hiker. Ich bin nur für eine Nacht hier, um morgen in der Frühe die Fähre nach Kanada rechtzeitig zu erreichen.

Ich hatte mir stets vorgestellt, zum Abschluss dieser Reise mit dem Schiff nach Vancouver zu reisen. Eine direkte Verbindung auf dem Seeweg wird es erst ab nächstem Jahr geben deshalb reise ich via Victoria, Vancouver Island an.

Ich hatte vorgängig mit einem Trailangel in Vancouver Kontakt aufgenommen. Es hörte sich gut an, dass die Ü 50er im Haus logieren können und die Aussicht, bis zum Schluss mit der Hikerszene verbunden zu bleiben, passte mir. Als weniger reizvoll entpuppte sich, was ich antraf. In einem heruntergekommenen Haus traf ich auf eine mürrische Vertretung, die von nichts wusste. Ich machte mich sogleich auf, einen gastlicheren Ort zu finden, obwohl online alles ausgebucht war. Und wurde fündig.

Fast alle Vorhaben sind verwirklicht: ich bin satt, es ist Zeit, den Heimweg anzutreten und den Blog zu beenden. Es ist an der Zeit, wieder direkt mit Euch zu reden und aufzuholen, was in Eurem Leben in den vergangenen Monaten geschehen ist. Schliesslich, während ich gelaufen bin, habt Ihr gearbeitet, Euch pensionieren lassen, Kinder zu Bett gebracht, habt geheiratet, eine Firma gegründet, ein Haus gekauft, habt gekündigt und Neues in Angriff genommen, geliebt und entliebt und ich- ich war immer noch am Laufen.

Ob ich Euch verändert vorkommen werde? Weichgespült und sanftmütig durch die amerikanische Sprache, die im Umgang oft positiv(istisch) ist und gewisse Ausdrücke wie "love" und "fun" inflationär gebraucht?
Ohne etwas anderes zu tun, als zu laufen, hatte ich einen Sonderstatus. Ich wurde mit positiv(...) Attributen versehen; allen voran meine Radlerwaden. ("I love your calves") Was ich zuerst als Witz verstanden, habe ich schliesslich ohne Wimpernzucken entgegengenommen. Ich habe sogar die nächste Hürde in Angriff genommen und mich darin geübt, die Wörter "love, fun" und "awesome" in alle möglichen Sätze einzubauen. Ob ich dadurch irgendwelche Langzeitschäden davon tragen werde? Ich verlasse mich auf Euch, Ihr werdet mir die Antwort schonend beibringen.

Als ich 1982 von meiner ersten längeren US- Reise zurückkehrte, haben sich meine beiden Schwestern, Lisa und Vreni, krankgelacht, als sie mich mit dem Deux Chevaux vom Basler Bahnhof abholten. Als Zeichen der äusseren Veränderung hatte ich mir Locken drehen lassen.  Als Zeichen der inneren Reifung hatte sich mein Wortschatz erweitert. Ich fand alles "very exiting" und habe zwischendurch " Sweetie etc." eingestreut. Was nicht zu Anerkennung meiner Entwicklung, sondern zu weiteren, hemmungslosen Lachanfällen geführt hat.

Letztlich werden sich die wichtigsten Fragen erst in der direkten Begegnung mit Euch beantworten lassen. Ich freue mich sehr auf Euch
und den Rückflug:

" I nehme no e Campari Soda.
Wiit onder mer liegt's Wolkemeer.
Dr Ventilator summet liisli
Es isch als gäb s mi nömme meh"

                           Fertig

Samstag, 23. September 2017

Marysville WA, 26.9.27

Die (Trail-) Magic geht weiter.
Ich konnte mit drei Jägern vom Harts Pass hinunter nach Mazama mitfahren und ging dort zum Haus eines Trailangels, von der ich gehört hatte, dass sie als erste Frau den ganzen PCT 1976 alleine gelaufen ist: Carolyn "Ravensong" Burkhart. Ich fühlte mich äusserst wohl dort, half Carolyn bei ihren Umgebungsarbeiten und putzte mit grösstem Vergnügen den ganzen Hikerhut, eine umgebaute Garage. Unter dem Dach befindet sich ein Massenlager. Dort bin ich mit einem Bettnachbarn aneinandergeraten, der vergass, sein Handy abzustellen. Ich schlief schliesslich unten auf dem Sofa, da der Kollege ziemlich ungehalten auf meinen Protest reagierte. Am nächsten Tag erklärte man mir, dass der Lärm ein Regengeräusch gewesen und als Schlafhilfe dienen würde. Die Umgebungsgeräusche würden dadurch unterdrückt. Das war lehrreich, meine Zweifel ob der Anwendung in einem Massenlager blieben bestehen.

Meine Veränderung von der PCT Thru Hikerin zur gewöhnlichen Touristin verläuft sanft. Randy und Kay, ein pensioniertes Ehepaar, welches ich in Oregon kennengelernt hatte, bestanden darauf, mich in Mazama abzuholen. Seither logiere ich komfortabel in ihrem Haus. Die beiden verwöhnen mich richtiggehend: Kay, eine leidenschaftliche Köchin, bereitete zur Feier des Thru Hikes eine Boullabaisse zu. Am Wochenende fuhren wir zum Bluesfestival nach North Bend, auf dem Rückweg direkt nach Seattle und zum Abschluss des Wochenendes traf man sich auf der Martini Piazza, welche Randy und sein Nachbar Marc zu diesem Zweck grenzüberschreitend gebaut haben.

Nach einigem Sightseeing fahre ich morgen Mittwoch mit dem Schiff nach Victoria, Vancouver Island (eine direkte Schiffs verbindung nach Vancouver gibt es nicht)
Der Heimflug rückt nun, da ich mich von Randy und Kay verabschiedet habe, definitiv näher und ich bin auf einmal etwas aufgeregt deswegen.

Donnerstag, 21. September 2017

Southbound to Harts Pass- Mazama, 22.9.17

Auf dem Weg zurück zu meinem Zelt traf ich anfänglich noch auf altbekannte Leute und nahm die Gratulationen und Umarmungen entgegen. Die grossen Gefühle wollten sich bei mir nicht einstellen. Am Nachmittag bin ich niemandem mehr begegnet, zu unfreundlich das Wetter. Ich verzog mich ins Zelt, es sollte noch schlimmer werden. Der Regen ging in Eisregen über. Am späten Abend hörte ich Pferde vorbeigehen. Ein Pferdehalter kehrte mit seinen Packpferden von einem Camp zurück, welches er für die Jäger eingerichtet hatte. Die Jagdsaison hat eben begonnen.
Der Mittwochmorgen war kalt, aber trocken. Ich packte meine Siebensachen noch einmal und machte mich auf Richtung Süden. Obwohl ich die Strecke das zweite Mal ging, schaute mit Schnee alles anders aus. Die Weite der Landschaft, der bewegte Himmel, den ich so liebe. Es war ein leichtes und beschwingtes Gehen, der bevorstehende Abschied vom Trailleben liess mich alles intensiver erleben.
Vor dem Harts Pass ging ich bergwärts zum Feuerturm auf dem Slate Peak. Mir schwebte vor, dort meine letzte Trailnacht zu verbringen. Von Nahem sieht der allerdings deutlich weniger romantisch aus, als aus der Ferne und der Zugang war verbarrikadiert. Ich kochte mir ein "Festmahl": die letzte Trailmahlzeit (Mashed Potatoes aus Idaho), die letzte Clifbar zum Dessert, einen Kaffee und einen Schluck aus dem Flachmann. Alles mit dem Beigeschmack des letzten Males auf dem Trail.
Dort oben, 30 Meilen südlich vom offiziellen Ziel, ging für mich meine PCT Wanderung zu Ende. Der Feuerturm mochte schäbig wirken, das Panorama war atemberaubend. Als ob ich mich über den Wolken und Gipfeln, über der Welt befinden würde. Ich bin den ganzen weiten Weg von Mexiko nach Kanada gelaufen; diesem maändernden, willkürlichen Band gefolgt. Habe im südkalifornischen Wüstensand begonnen und im Schneematsch den nördlichen Terminus erreicht. Der Slate Peak, dieser abgetragenen, eingeebneten Gipfel schien mir der passende, würdigere Ort, meine PCT Wanderung zu beenden.
Ich fühl(t)e mich glücklich und dankbar, der Kreis, mein Kreis hat sich geschlossen. Ich stellte das Erreichen des Zieles nie in Frage, vertraute stets darauf, dass es gut kommen wird. Und das tat es. Ich fühle mich ausserstande, nach fünf Monaten Trailleben ein Fazit zu ziehen. Da sind mehr Fragen, als Antworten. Habe ich mich verändert? Bin ich offener geworden? Hat der PCT meinen Vorstellungen entsprochen? Etc.etc.
Was ich sicher weiss, ist, dass meine Wanderung von einem guten Stern begleitet worden ist. Wann immer sich Schwierigkeiten angedeutet hatten, stand die Lösung schon bereit: ein idyllischer Zeltplatz kam des Weges, eine Aufmunterung, ein unerwarteter Ausblick oder ein Gespräch.
So viele "Zufälle", die sich auf diesen über 4000 Kilometern ergeben haben. Ich begann mich, darauf zu verlassen. Ich habe an Vertrauen in das Leben gewonnen.

PS : Die Wanderung ist zu Ende, aber die Reise noch nicht. Ich gehe ein paar Tage nach Seattle und dann nach Vancouver. Ich freue mich darauf. Nein, Sad Dog, ich werde keine Post- Trail-Depression haben.