Montag, 5. Juni 2017

KENNEDY MEADOWS DAY 39, TM 702, 1120 KM- TM 733,8

Ich weiss, ich verliere jede Glaubwürdigkeit, wenn ich mich jetzt schon wieder melde. Kaum abgemeldet, schon wieder zurück im www. Überraschenderweise habe ich Empfang in dieser abgelegenen Gegend, also nutze ich die Gelegenheit.

Ich bin vorgestern gestern Samstag mit Martin losgelaufen Richtung Berge. Der Dritte im Bunde war den ganzen Tag unauffindbar, hat wohl seine Pläne geändert.
Martin und ich könnten unterschiedlicher nicht sein. Er ist ein Flachländer aus Norddeutschland und baumlang. Er ist deutlich schneller ebenaus und bei Steigungen wendet er die Morello Technik an, allerdings ohne deren Weinkrämpfe.
Unterwegs erzählt er mir, dass er eine Tendenz habe, sich zu viele Sorgen zu machen. Für den PCT habe er sich vorgenommen, diesem Übel abzuschwören. Er lebe spontan vor sich hin und lasse die Dinge auf sich zukommen. Einige Folgen dieser Haltung erscheinen mir etwas gar sorglos. Er habe eben seine Wanderschuhe nach Hause geschickt, nachdem er sie den ganzen Weg durch die Wüste getragen und geschwollene Füsse davon bekommen habe. Er will die Sierra in Turnschuhen begehen. An weitere Ausrüstungsgegenstände hätte er zu spät gedacht, deshalb will er morgen raus nach Lone Pine um dies nachzuholen. Mutig oder leichtsinnig? Ob das wohl gut kommt mit uns beiden?

Was mich für ihn einnimmt, ist seine Radikalität. Er ist 57, hat für diese Wanderung alles aufgegeben; Wohnung, Auto und Job. Er erhoffe sich neue Impulse, möchte sein Leben anders, erfüllter weiterführen als bisher. Allerliebst fand ich ausserdem, dass er mir gestern an meinem Herdfeuerchen erzählte, dass er manchmal von seiner Rückkehr tagträume. Es spucke ihm ein Lied im Kopf herum: da fahre ein Mann nach langer Gefangenschaft mit dem Bus zu seiner Liebsten. Vorgängig hatte er sie gebeten, falls er nach all' den Jahren bei ihr immer noch willkommen sei, soll sie doch bitte ein gelbes Band um die Eiche binden. Als der Bus sich dem Haus näherte, wagte er nicht, hinzusehen und bat den Buschauffeur dies für ihn zu tun. Auf einmal brach der ganze Bus in Jubel aus; an jedem Baum hing ein gelbes Band. Martin' s Stimme brach, er räusperte sich.

4.6.17/ ab  TM 709
Der Rucksack wiegt schwer. Ich habe einiges an zusätzlicher Ausrüstung dabei und essen für etwa 10 Tage. Langsam gewinnen wir an Höhe. Ein grünes Tal öffnet sich und erst da merke ich, wie sehr mir dieser Anblick gefehlt hat. Wir erreichen 3200 m, danach geht es durch einige Altschneefelder, die keine Probleme bieten, ausser, dass der Weg schwer zu finden ist. GPS sei Dank gibt es auch da ein Mittel dagegen.
Unterwegs treffen wir auf Madame, eine Welschschweizerin in den Fünfziger, die einfach mal los gegangen ist und für die höheren Regionen Anschluss sucht. Sie hat dasselbe vor wie ich und wir waren uns schnell einig, dass sie sich uns anschliessen soll.

5.6.17/ Campsite TM 730
Es kam nicht gut, mit uns beiden, Martin und mir. Am Vorabend wollten wit besprechen, wie wir die gemeinsame Unternehmung gestalten wollen. Madame war spät angekommen und hatte von einem Unfall auf den Schneefeldern berichtet. Einzelheiten konnte sie nicht mitteilen, es seien genug Leute da gewesen, die den um Hilfe rufenden gesucht hätten. Für sie sei klar: auf den kommenden Schneefeldern wandert man zusammen, in Sichtkontakt. Ganz meine Meinung. Weiter kamen wir nicht, die Moskitos zwangen uns ins Zelt.

Am nächsten Morgen zeigte sich Martin verschlossen, setzte sich nicht zu uns zum Kaffee. An der Lagebesprechung, wo es um mögliche Treffpunkte nach seinem Ausflug nach Long Pine ging, zeigte er sich demonstrativ desinteressiert und marschierte los. Die Botschaft war unausgesprochen, aber klar.

Nun bin ich also mit Madame unterwegs, die deutlich selbstbewusster ist und weiss was sie will: eine Zweckgemeinschaft.

Ich habe mittlerweilen über diesen Abgang ein paar Meilen nachgedacht. Martin hat unausgesprochene emotionale Bedürfnisse, ich habe uns als Zweckgemeinschaft verstanden. Die Erkenntnisse sind, wie so oft, banal. Ich hätte es besser wissen müssen und zwingend vor dem Aufbruch einige grundsätzliche Sachen mit ihm besprechen müssen.

Wir sind noch nicht im grossen Schnee angelangt, sind auf 3000 Meter Höhe. Wahrscheinlich ist, dass ich nach Independence raus muss. Also noch nichts Neues auf dem Trail.

Ein Bild für die Götter: mitten im Niemandsland sitzen drei Leute und bearbeiten ihre Handy's. Und Hund Bell will spielen und wird laufend abgewiesen.

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