Donnerstag, 3. August 2017

Seiad Valley, 3.8.17/ TM 1653

Das ging alles viel zu schnell. Nach geschäftigen 24 Stunden in Mount Shasta stehe ich auf einer verlassenen Nebenstraße vor dem PCT Wegzeichen. Es bleibt nichts mehr zu tun, als der Wegmarkierung zu folgen. Dem und meinen guten Vorsätzen für den restlichen Weg nach Kanada.

Mount Shasta zehrt vom geheimnisumwitterten Ruf des gleichnamigen Berges. Eine der Legenden besagt, dass dieser mit der verborgenen Welt von Atlantis und Lemurien in Verbindung stehen soll. Das zieht Menschen mit entsprechenden Interessen an. Es hat überdurchschnittlich viele esoterische Angebote und im Strassenbild fallen die vielen Alt- und Junghippies auf. Die Leute sind ausgesprochen freundlich und mir scheint, dass man häufiger mit Kosewörtern angesprochen wird als anderswo. "Do you need anything else, Sweetheart?"

Fertig mit Sweetie- Honey- Dear: der Trail ruft. Immerhin habe ich noch einige feine Sachen aus dem grossartigen Bioladen von Mount Shasta mit dabei: Energieriegel von den health warriors, Granola von Lotus und Müesli von Good Vibrations.

Es herrscht eine seltsame Dynamik unter den Hikern in Nordkalifornien: einige befassen sich mit Aufhören und andere versuchen, so schnell wie möglich den Trail abzuschliessen. Letztere laufen 30 (48km) und mehr Meilen täglich.
Ich liege mit meinem Durchhänger also voll im Trend. Entgegen meinem PlanungsunwilIen habe ich mir die verbleibende Strecke und den Zeitrahmen angeschaut. Ich bin zeitlich gut dran. Es besteht kein Grund zur Eile. Wenn ich täglich 20 Meilen (32 km) laufe, bin ich Ende September in Kanada. (Das hat nicht nur mit meinem Rückflugdatum zu tun, damit lässt sich hoffentlich einem Wintereinbruch in den Northern Cascades vorbeugen.)
Diese Distanz ist bei diesem Streckenverlauf und meinem körperlichen Fitnessstand leicht zu bewältigen.
Dadurch bleibt genügend (Spiel-) Raum für anderes, was zu kurz gekommen ist. Ich werde an idyllischen Orten früher das Zelt aufschlagen, werde auch wiedermal in ein Visitorcenter gehen, um mehr über die Gegend zu erfahren, in der ich mich gerade befinde. Das beugt dem Tunnelblick vor, zu dem wir
Hiker neigen und hilft gegen Ansteckung vor dem Meilenwahnsinn.

Die äusseren Bedingungen helfen mit, um  mein Trailleben wieder ins Lot zu kriegen. Der PCT wird seit Old Station, also seit etwa 300 Meilen, immer wieder zum Höhenweg. Die abwechslungsreiche Landschaft öffnet sich zu spektakulären Weitsichten. Ich kann mich nicht sattsehen am grossen Himmel und der Weite. Da sitze ich den vor meinem Wigwam und schaue den Verfärbungen des Himmels zu. Oder gehe in einen der unzähligen Seen entlang des Weges schwimmen. Das Wetter vergesse ich stets zu erwähnen: beständige Hitzewelle zwischen 35- 40°.

Das soziale Leben auf dem Trail hat sich erneut verändert. Die Leute, welche die Sierra Nevada von Norden angehen, sind jetzt in den Bergen. Ich treffe täglich nur noch 2-3 PCT Hiker und auf Ausflügler. Das ist ganz "zfrede", die Schnellen sind schon längst in Oregon. Und wir, die Langsamen, haben Zeit. Es geschieht jetzt ab und zu ganz zwangslos, dass ich mit jemandem für ein paar Stunden oder ein paar Tage gemeinsam laufe. Ideal.  Gestern war ich mit Thomas, 34, Franzose unterwegs. Er hat eine einfache, klare Haltung: ein Thru-  Hike bedeute, sich mit den Bedingungen auseinanderzusetzen, die herrschen; seien es Flussüberquerungen oder Krisen. Deshalb hat er die Sierra regulär von Süden nach Norden durchwandert. Am Montag bin ich auf Snickers, 63 getroffen. Er gehe den Teilabschnitt das 5. Mal. Er ist ein wandelndes PCT Lexikon und spricht nur in Meilen: TM 1576 ist das und 1584 jenes. Leider muss er 30 Meilen pro Tag laufen, um rechtzeitig zum Shakespeare Festival in Ashland zu sein. Ich hätte gerne mehr Zeit mit ihm verbracht. Und- ich bin auf einen waschechten Cowboy gestossen, mit Waffe und alles. Einzig die moderne Sonnenbrille war ein Stilbruch. Bill war auf der Suche nach seinen Rindern.

Es hat sich alles wieder eingerenkt bei mir. So sehr, dass ich erschrocken bin, als ich kurz vor Seiad Valley realisierte, dass es nur noch 1000 Meilen sind nach Kanada.

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